Der Pilot lässt den Motor der „Beaver“ noch einmal richtig laut aufheulen, bevor er vom Eliot Lake abhebt und kurz darauf verschwindet das Wasserflugzeug auch schon hinter den kargen Bergen der Ogilvie Mountains.
Es wird ruhig hier am Ufer dieses kleinen Bergsees, richtig ruhig! Die Materialliste rast noch einmal durch den Kopf...haben wir auch alles Wichtige eingepackt…jetzt wär‘s ohnehin zu spät…wir sind auf uns alleine gestellt! Mir wird hier ganz intensiv bewusst, was das Wort „WILDNIS“ bedeutet. Claudia, Klaus und Dani geht es in diesem Moment wahrscheinlich nicht anders. Wir genießen diesen besonderen Augenblick, das haben wir ja auch mit dieser Reise gesucht – Wildnis!
Rückblick. Klaus und ich sitzen bei einer gemeinsamen Klettertour am El Capitan im Yosemite Valley auf einem schmalen Felsband, unserem Biwakplatz, und blicken über 500 Meter tiefer auf den durch dieses schöne Tal mäandrierenden Merced River. Hier entstand die Idee mit unseren Mädls eine Kanutour in der Wildnis Kanadas zu unternehmen. Mehr als einen Bericht mit tollen Bildern im Internet fanden wir nicht über „unseren“ Fluss, den Hart River. Das genügte uns aber auch schon, um zu wissen, dass diese einsame Gegend (die größte Fläche Kanadas, und damit wahrscheinlich auch weltweit, ohne Straßenanbindung und Besiedelung) das Ziel unserer Begierde werden sollte. Ein spannender, nicht ganz einfacher, aber auch nicht zu schwieriger Fluss, eine tolle, natürlich möglichst bergige Kulisse, damit wir uns auch den Fluss von oben anschauen können, möglichst wenige Menschen und Natur pur, der Hart River sollte alle unsere Vorgaben erfüllen. Der Blick in ein Guidebook, das wir in Whitehorse gefunden hatten, machte uns noch zuversichtlicher, dass sich unsere Vorbereitungen gelohnt hatten.
„In a constellation of superb Yukon wild rivers, the Hart is among the very finest. From sinuous and slow-moving wetland channels to frothy white waters under lofty ramparts, the Hart is a river of infinite variety and surprise. Battalions of gendarmes guard the mountain flanks, while in the valley below, multiple rows of shale ledges cleave the waters. The Hart is wild and remote, sometimes strenuous and always inspiring.”
Nachdem wir in Whitehorse noch alle notwendigen Besorgungen (Lebensmittel einkaufen, Angel- und Jagdlizenz besorgen…) erledigt hatten, fuhren wir in einer gut 5-stündigen Autofahrt nach Mayo, von wo uns ein Wasserflugzeug zum Ausgangspunkt unserer Kanutour brachte.
Jetzt stehen wir also hier am Eliot Lake mit ca. 250 kg Gepäck uns bleiben 14 Tage Zeit, um die Strecke von 308 Kilometern auf dem Eliot Creek, dem Hart River und dem Peel River bis zur Mündung des Canyon Creek zu Paddeln. Dort haben wir, sollte das Wetter passen, am 06. August ein „Rendezvous“ mit unserem Piloten. Auf jegliche Kommunikationsmöglichkeit nach außen haben wir bewusst verzichtet und kein Satelitentelefon oder ähnliches mitgenommen. Wir sind ein gutes Team mit 2 Booten und gut ausgerüstet, das sollte uns als Sicherheitspolster reichen. Man muss sich hier aber schon immer bewusst sein, dass nicht innerhalb von ein paar Minuten ein Hubschrauber vor Ort sein kann und man in erster Linie auf sich allein gestellt ist. Wildnis eben. Ganz auf technische Hilfsmittel haben wir aber nicht verzichtet. Neben genauen Karten haben wir auch ein GPS-Gerät dabei, welches Klaus, der Meister in Kartenkunde und Tourenplanung, in akribischer Arbeit mit allen nur erdenklichen Detailinformationen (die ihm zur Verfügung standen) gefüttert hatte.
Da es schon Nachmittag ist und der Platz, an dem uns der Pilot abgesetzt hat, nicht für ein Lager geeignet ist pumpen wir unsere beiden Grabner-Kanus auf und setzen auf die andere Uferseite über, wo wir auf einem kleinen Hügel unser erstes Lager errichten.
Der nächste Tag begrüßt uns mit einer traumhaften Stimmung am See. Ich bin schon etwas vor den anderen wach, um die, sich über dem See lichtende, Nebeldecke zu fotografieren. Dabei kann ich einen Elch beobachten, der im Wasser steht und frisst. Wir verlassen den Eliot Lake und paddeln durch das immer noch annähernd stehende Gewässer des Ausflusses. Noch spüren wir nichts vom Hauptgrund, warum nur eine Handvoll Paddler diesen Fluss wählen. Die ersten 1,5 bis 2 Tage am Eliot Creek bis zur Einmündung in den Hart River muss man sich nämlich richtig „Hart“ erarbeiten. Nach den ersten Kilometern versperrt uns auch schon ein Biberdamm die Weiterfahrt. Auf einem Großteil der Strecke ist das Wasser zu seicht zum Paddeln und wir müssen die Boote treideln, ziehen oder überhaupt über kurze Stellen tragen. Immer wieder erschweren umgefallene Bäume und verblocktes Treibholz die Weiterfahrt. Wir haben aber auch Glück. Vor uns muss heuer schon jemand hier gepaddelt sein, denn es sind schon einige querliegende Bäume abgeschnitten worden. Wir müssen nur einmal die Säge auspacken. Ziemlich fertig erreichen wir nach 1,5 Tagen die Mündung in den Hart River und genießen das tiefe Wasser, das sich hier sehr langsam fließend durch das weite Hochtal schlängelt. Nur einmal unterbrechen wir die gleichmäßigen Paddelschläge als wir am Ufer frische Grizzleyspuren entdecken.
Unseren ersten Abend am Hart River verbringen wir am Lagerfeuer und essen wohlschmeckenden Greyling (Äschen). Es sollen noch viele folgen, Lagerfeuerabende wie Fische. Die nächsten drei Tage wird der Fluss auch wieder schneller, verzweigt sich aber stark. Wir müssen immer wieder aufpassen, nicht die falschen Abzweigungen zu erwischen. Dazwischen gilt es auch noch die ersten Wildwasserstellen (WW II) zu meistern. Nicht auszudenken, hier mit unserer gesamten Ladung, die zwar gut im Boot verschnürt und wasserdicht verpackt ist, baden zu gehen. Nass werden wir ohnehin von oben. Das Wetter ist nämlich sehr „durchwachsen“. Regen und Sonnenschein wechseln sich oft halbstündlich ab. Die Landschaft hier entschädigt aber für alle Mühen. Bergrücken, steile Felswände, die direkt vom Wasser mehrere hundert Meter in den Himmel ragen und ursprüngliche Fichtenwälder begleiten den mäandernden Flusslauf. Immer wieder machen wir Halt, um zu fischen und unsere Beine durchzustrecken. Heute fällt die Beute sehr gut aus, 31 Äschen haben wir bereits im Boot. Das passt uns sehr gut. Als wir nämlich den heutigen Lagerplatz sehen, beschließen wir spontan neben der ohnehin geplanten Bergtour hier auch noch einen Ruhetag einzulegen. Der Platz ist genial und für genügend Proviant ist jetzt ja auch gesorgt.
Dieser Lagerplatz ist wirklich schön auf einer Wiese direkt oberhalb des Flusses gelegen. Unsere Proviantsäcke hängen wir zum Schutz vor den Bären zwischen 2 Bäumen auf. Wer weiß, dass hier zwei Bergführer am Werk sind, kann sich sicher vorstellen, dass uns die „normale“ Variante nicht genügt. Bequem schwebt die Last an einer Seilbahn in die Höhe. Jetzt können wir beruhigt zu unserer Wanderung aufbrechen. Der Nitro Mountain ist das Ziel. Beeindruckt vom wunderschönen Panorama wird eine ausgiebige Überschreitung des gesamten Talkessels daraus. Der Ruhetag am nächsten Tag kommt uns somit ganz recht. Außerdem lädt das Wetter nicht wirklich dazu ein, das Zelt zu verlassen. Am Abend wird es dann aber ganz angenehm und wir backen frisches Brot am Lagerfeuer und grillen die letzten Fische.
Die nächsten Tage beginnen sehr kalt. Wir paddeln manchmal bei nur 6°C. Das Wetter ist aber zum Teil ganz gut und wir können an beeindruckenden Lagerplätzen halt machen. 7 Tage bleiben uns noch Zeit, dann müssen wir am vereinbarten Treffpunkt mit dem Buschflieger sein. Das sollte sich leicht ausgehen und notfalls können wir ja auch längere Paddeletappen einlegen, es ist ohnehin 24 Stunden hell hier im Norden Kanadas. Daher gönnen wir uns noch einen Wandertag auf einen namenlosen Gipfel.
Nachdem wir die letzten zwei Paddeltage auch noch gut überstanden haben, erreichen wir einen Tag früher als notwendig den Abholpunkt an der Mündung des Canyon Creek in den Peel River. Dieser Zeitpuffer war uns wichtig, da es die letzten 2 Tagesetappen noch in sich hatten. Sehr anspruchsvolles Wildwasser war geboten und wir waren uns nicht sicher, ob und wie wir alle Stellen meistern konnten. Dani und ich konnten am Hart River alle Stellen bis WW III fahren. Nach den 3er Stromschnellen war zwar unser offener Kanadier halbvoll mit Wasser, aber es war ein geniales Erlebnis. Nach dem Zusammenfluss mit dem Peel River wurde das Wildwasser aber extrem und wir mussten unsere Boote am Rand an den Stromschnellen vorbeiführen.
Wir warten also auf der Sandbank inmitten der mittlerweile beträchtlichen Wassermassen auf den Piloten mit der kleinen Beaver. Kurz schießen uns auch Gedanken wie „und wenn er uns jetzt vergessen hat“ durch den Kopf, da hören wir die Motorengeräusche. Wir setzen schnell ans andere Ufer über und lassen die Luft aus unseren Grabner Booten. Der routinierte Buschpilot startet hier direkt auf dem ruhig fließenden Fluss. Nach ca. 1,5 stündigen Flug durch die Ogilvie Mountains sind wir wieder zurück in der Zivilisation. Wobei Zivilisation ist hier in Mayo schon noch etwas übertrieben. Wir fahren noch 4 Stunden mit dem Auto in die legendäre Goldgräberstadt Dawson City, wo wir uns dann ein köstliches Steak schmecken lassen können. Die 103 gefangenen Fische waren ja auch nicht schlecht, aber…
Die nächsten Tage lassen wir den Goldgräberflair auf uns wirken und sehen uns die eine oder anderen Sehenswürdigkeiten in und um Dawson bzw. Whitehorse an. Am stärksten in Erinnerung wird unser aber unser Wildnis Abenteuer bleiben. Gott sei Dank gibt es noch Plätze auf dieser Erde, wo man solche Geschichten erleben darf. Darum:
PROTECT THE PEEL RIVER WATERSHED! – www.protectpeel.ca
Aber das Schönste an dieser Reise, wir können ein ganz besonderes Souvenir aus der Wildnis Kanadas mit nach Hause nehmen…
Einen sehr informativen Bericht über dieses Abenteuer gibt es auch auf der Seite von Klaus: www.higher-ground.at