Big, Bigger, El Capitan
Wenn man als Bergführer die Möglichkeit hat eine alpine Traumroute wie die „Nose“ am El Capitan zu führen, sollte man die Möglichkeit wahrnehmen, dachte ich mir, als mir mein Kumpel und Bergführerkollege Tom Rabl, das Angebot unterbreitete, die Nose mit zwei jungen Südtirolern zu klettern. Doch wer sind die beiden? Nach ihrer fixen Zusage, die Reise mit mir anzutreten, ging alles Schlag auf Schlag. Der Termin 6.- 21.Mai wurde fixiert, die Flüge gebucht und das erste Vorbereitungswochenende im Oktober in Arco stand auch schon vor der Tür. Ziemlich zeitgleich hat sich auch bei mir im privaten was getan. Meine Freundin Julia, mein Sohn Xaver und ich bekommen Zuwachs in der Familie. Geburtstermin 1.Juni 2017. Das könnte knapp werden, aber wer mich kennt weiß, ich bin ein Optimist bis in die Haarwurzel, deswegen trete ich die Reise auch, wie vereinbart, an. Doch nun zurück zu den zwei Schnalstaler Jungs. Ich war schon gespannt, was da auf mich zukommt, wie die beiden so drauf sind und wie wir miteinander auskommen werden.
Vorbereitungs Wochenende – ARCO
Wir treffen uns um 21:00 Uhr in Bozen. Ich bin etwas nervös. Wie die beiden wohl so sind? Erste Begegnung mit Hias und Tobi. Gottseidank! Wir sind auf einer Welle. Echt extrem lustige Typen!!! Ich bin erleichtert. In Arco angekommen in der Unterkunft lernen wir Mohammed kennen, welchen wir liebevoll Mo nennen. Bereits jetzt ist klar, das Wochenede wird eine echte Gaudi. Die nächsten Tage konzentrieren wir uns voll aufs Klettern und auf spezielle Seilschaftsabläufe und mögliche Probleme, die in einer Big Wall wie am El Cap zum täglichen Brot gehören. Die Jungs geben ihr bestes und sind vollgas motiviert. Ich gebe ihnen Hausaufgaben mit über den Winter und somit haben sie noch genug Zeit sich speziell auf diverse Sachen wie Jümarn, Quergangssituationen, usw. vorzubereiten.
Next Stop – CADARESE
Ende April treffen wir uns im italienischen „Little Yosemite“ namens Cadarese. Es ist wichtig, dass die Jungs erste Risserfahrungen im Granit sammeln und cadarese eignet sich perfekt dafür. Von Splitter, Handriss bis hin zum Offwidth (Risse der übelsten Sorte!) bekommt man alles geboten. Wir klettern viel, Hias ist am ersten Tag etwas kränklich und ruht sich lieber aus. Tobi hingegen gibt sich die volle Dosis. Am nächsten Tag steht Seilschaftsablauf wie in der „Nose“, haulen, cleanen, jümarn und alles was dazugehört am Programm. Kleinigkeiten die noch nicht ganz passen werden wieder und wieder durchgespielt und perfektioniert. Für mich ist es auch wichtig den Jungs blind vertrauen zu können, denn am El Cap kann man nicht jeden Handgriff überwachen und gerade die Basics müssen in Fleisch und Blut übergehen. Nach intensiven 3 Tagen verabschieden wir uns am Parkplatz in Cadarese. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, atmen wir bereits kalifornische Luft.
The Mo, must go on...
Zusammen mit meinem guten Kumpel Uli aus Innsbruck flog ich bereits 8 Tage früher ins Tal der Täler um zum einen natürlich möglichst viele Meter im goldenen Granit zu machen, aber auch mit den Fallschirmen am Rücken wollten wir ordentlich Airmiles sammeln und unsere speziellen Fluganzüge einfliegen. Für Uli, der sich volle drei Wochen Urlaub nahm, war es die erste Reise ins Yosemite und dementsprechend GROß war seine Begeisterung. Uli ist ohnehin schon leicht zu begeistern und einer der unkompliziertesten und nettesten Typen die ich kenne. Egal ob das Bier warm oder kalt ist, Uli würde sagen „Ma geil is des Bier warm!“, oder „He sooo geil, so a kaltes Bier!“. Nach einem 3 tägigen, etwas mehr als abgefahrenen Skydive Festival mit Jetlag und 300 voll durchgeknallten Ami´s in Davis, waren wir erstmal froh die Ruhe im Valley genießen zu können. Etwas kaltschnäuzig stiegen wir bereits am nächsten Tag in die „Nose“ ein und wollten diese in einem Tag klettern. Angekommen am Dolttower waren wir beide dermaßen KO und durchgebraten von der Hitze, dass uns die Entscheidung das Handtuch zu werfen und abzuseilen nicht allzu schwer fiel und auch die Tatsache, dass wir für ein Biwak zu wenig Wasser dabei hatten, erleichterte die Entscheidung. Die Tage danach standen schattige Routen am Programm und ehe wir die Jungs holten, wollten wir noch einmal nach Davis zum Fallschirmspringen.
6.Mai - Die Jungs Kommen
„Wann landen die Jungs?“, fragte mich Uli im Schatten der saftigen Packwiese und legte seinen Fallschirm zusammen. Ich weiß sofort worauf er hinaus will. Ein Sprung geht sich tatsächlich noch aus, dann aber ab nach San Fran Intl Airport, ist zum Glück nur 1,5h entfernt, mit dem Verkehr aber 2,5 h. Als wir ankommen mussten wir tatsächlich noch auf die Jungs warten, bis sie durch all die Kontrollen geschleust wurden. Beide machen einen sagen wir, „gejetlagden“ Eindruck, sind aber gut drauf und überdreht. Wir fahren Richtung Turlock, nach nur 10 Minuten ist auch schon Stille auf der Rückbank, Tobis Kopf klebt an der Scheibe und Hias schläft auch. In Turlock essen wir mexikanisch und im Motel fallen wir alle erledigt ins Bett.
Am nächsten Tag steht Shopping am Programm, wir brauchen noch Essen fürs Valley. Kurz darauf liegen wir auch schon in den Meadows und die Jungs können erstmals den El Capitan in seiner vollen Pracht bestaunen. Es ist ihnen unschwer an zu kennen, dass ihnen das Herz ein wenig in die Hose gerutscht ist.
Die nächsten Tage verbringen wir mit netten Einklettertouren am Ranger Rock, an den Cathedrals und auch dem Yosemite Megaklassiker „Seperate Reality“ statten wir einen Besuch ab. Am Abend kochen wir im Camp 4 und die Stimmung ist gewaltig.
Shit Happens
Das „Moratorium“ und oben die „East Buttress“ weiter wär vor dem Ruhetag am Programm gestanden, doch bis zur „East Buttress“ sollten wir nicht kommen. In der vorletzten Seillänge des „Moratorium“ stürzt Hias ca. 1,5 Meter im Nachstieg ins Seil und verletzt sich am Fuß. Die sofortige Schwellung verrät nichts Gutes und wir müssen abseilen. Der beinahe 2 Meter große Uli nimmt Hias wie einen Rucksack auf den Rücken und wir bringen ihn ins Krankenhaus. Die Diagnose traf uns schwer. Gebrochenes Sprunggelenk. Nach einer Nacht im Half Dome Village Zeltlager, bringen wir Hias nach Fresno, wo ihn ein Arzt für den Heimflug abholen wird. Die Stimmung ist gedrückt, aber zum Glück ist nicht mehr passiert. Wir verabschieden uns von Hias. Und Tobi, Uli und ich fahren zurück ins Valley.
Jetzt geht’s NOSE
Den nächsten Tag verbringen wir mit Wetterchecks, Kaffee und packen für die Wand, wir haulen am Abend noch die schweren Säcke bis zu den „Sickle Ledges“, denn am nächsten Morgen um 4:30 soll das Abenteuer beginnen.
1. Tag: Wir klettern bis zum El Cap Tower. Uli und Tobi können einige Längen wie „Stoveleg Cracks“ usw. genießen, doch den ganzen Tag begleitet uns ein eisig kalter Wind. Ich fixiere das Seil noch bis zur „Texas Flake“ und wir richten uns ein gemütiches Biwak am El Cap Tower ein. Zu den obligaten Wraps mit Tuna and Cheese gibt’s noch Cup Noodles und Bob Marley singt uns seine besten Lieder. Um Mitternacht werden wir von zwei Kanadiern geweckt, die uns fragen, ob hier noch wo Platz ist zum Schlafen. Wir sagen ihnen ein paar Meter tiefer finden sie noch ein Band, dort richten sie sich für die kurze Nacht ein.
2. Tag: Um ca. 8:00 starte ich, doch wir haben nur ein Problem. Die Kanadier vor uns. Sie sind zu zweit und haben nur einen kleinen Rucksack und trotzdem laufen wir immer wieder zu ihnen auf und müssen warten. Es ist echt kalt und der Wind wird immer stärker. Wir ziehen alles an was wir haben und unter dem „Great Roof“ müssen wir ganze 2,5 Stunden warten. Als der zweite im Dach ist, steige ich ein und kurz drauf seilen die Kanadier ab. Sie haben uns echt viel Zeit gekostet und so erreichen wir im Dunklen das Camp 5, ein kleines unbequemes Biwak. Ich seile ein paar Meter ab auf ein kleines, abschüssiges Band, damit es Uli und Tobi etwas geräumiger haben.
Die Nacht verging schnell und am Morgen sah ich schon eine weiße Wand ins Valley hereinziehen. Munter kletterten wir Seillänge für Seillänge weiter und im ca. 10:00 Uhr, ich war gerade in der „Changing Corners“ schwebten die ersten Schneeflocken an mir vorbei. Solangs nicht schlimmer wird, kein Problem, dachte ich mir. Als Uli und Tobi am Stand ankamen, wurde aus dem Schneefall Schneeregen und die ganze Wand war komplett nass. An Freiklettern also nicht mehr zu denken, denn der ohnehin schon glatte Granit ist im nassen Zustand rutschig wie Seife. So kämpfte ich mich mit den Leitern und allen Friends nach oben, als Uli plötzlich den letzten Friend #1 nicht mehr befreien konnte und wir somit keinen einzigen mehr von dieser Größe hatten, wurde auch ich kurzzeitig nervös. Doch wir erreichten komplett durchnässt und durchfrohren die Boltleiter und ich wusste weit ist es nicht mehr. Im kompletten White Out stiegen die Jungs an den Jümars nach und plötzlich öffnete sich die Wolkenwand und sie bekamen den vollen 1000 Meter Tiefblick. Als ich das Seil am El Cap Tree fixierte und wenig später die Jungs am Gipfel ankamen, war die Erleichterung bei allen groß. Was für ein Trip. Und was für eine geile Tour. Aus dem geplanten gemütlichen sunny california Big Wall Abenteuer wurde ein „Patafornisches“ Big Wall Abenteuer und wir scherzten, dass Tobi wohl so schnell nichts mehr aus der Ruhe bringen wird. Nach dem verdienten Gipfel „Budweiser“ stiegen wir über die nassen Platten der Eastledges ab und erreichten im Einbruch der Dunkelheit das Auto. Next Stop: Burger und Bier und dann trockene Klamotten.
Am nächsten Tag waren wir alle ziemlich erledigt und zerschunden. Das Wetter war immer noch schlecht und wie uns Bekannte erzählten, waren ein paar Schaulustige in den Meadows, um uns zu beobachten, denn einige waren in Sorge, ob wir es noch bis raus packen werden, aber der Fotograf Tom Evans beruhigt die Leute „Those guys are rocking it, they are moving fast!“. Naja fast sei dahingestellt.
Unsere Fallschirmspringer Freunde Aaron und Christl zauberten uns die wohl besten Ripperl, die wir je gegessen hatten und nach ein paar Blue Moon sah die Welt wieder in Ordnung aus. Es war eine echt lustige Party auf unserem Campsite und wir waren froh um das trockene Zelt und die warmen Schlafsäcke. Tags drauf war das Wetter immer noch wechselhaft und wir hatten ohnehin nur noch 3 Tage übrig und wenn man ein paar Tage schlechtes Wetter im Valley erlebt hat, hat man es auch irgendwann gesehen. So machten wir uns für die letzten 2 Tage auf den Weg nach Davis. Tobi, der in seinem Leben nur einmal geflogen ist und zwar nach San Francisco, machte seinen ersten und sogar seinen zweiten Tandemsprung und wir mussten alle lachen, da er bei seinem zweiten Flug mit einem Flugzeug, nicht mal mit der Maschine gelandet ist. Kann auch nicht jeder sagen. Bei einem saftigen Burger und anschließendem Lagerfeuer unter Sternenhimmel ließen wir alle die Wahnsinns Zeit, die wir erleben durften, Revue passieren. Wir waren, glaub ich, ziemlich mit krassen Eindrücken überladen.
Am 21.Mai kam ich, fast wie geplant, um Mitternacht nach Hause zu meiner höchstschwangeren Freundin und meinem zweijährigen Sohn Xaver. Am 23.Mai um 19:10 Uhr erblickte unsere kleine Tochter Florina Marie das Licht der Welt. Man kann es Timing oder pures Glück nennen, aber ich bin mehr als Dankbar, dass ich bei der Geburt dabei sein konnte. Eine neue Reise hat bereits begonnen.
Guido
Bergführer, Text und Bilder: Guido Unterwurzacher